Justizstatistik 2019Die Polizei setzt täglich Staatstrojaner ein (Update)

Polizei und Ermittlungsbehörden nutzen Staatstrojaner vor allem wegen Drogen, wie bei der klassischen Telekommunikationsüberwachung. Das geht aus der offiziellen Justizstatistik hervor. Der Staat hackt mittlerweile praktisch jeden Tag.

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Woanders legal, in Deutschland ein Fall für Staatstrojaner? CC-BY 2.0 Elsa Olofsson

Hinweis: Nach Erscheinen des Artikels musste das Bundesjustizamt die veröffentlichten Zahlen korrigieren. Bitte beachtet die Updates am Ende und unseren Nachfolge-Artikel zur Korrektur.

Seit 2017 dürfen Polizei und Ermittlungsbehörden Staatstrojaner bei Alltagskriminalität einsetzen. Letztes Jahr haben Ermittlungsbehörden 380 Mal Geräte mit Staatstrojanern gehackt, durchschnittlich mehr als einmal pro Tag.

Das Bundesjustizamt veröffentlicht jedes Jahr Statistiken zur Telekommunikationsüberwachung in Deutschland, die wir aufbereiten und visualisieren. Für das Jahr 2019 sind erstmals Zahlen zu den beiden Staatstrojaner-Arten Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung dabei.

Jeden Tag ein Staatstrojaner

Ganz offiziell wurde die „Quellen-TKÜ“ (also das Hacken zum Abhören laufender Kommunikation) 578 Mal angeordnet und 368 Mal „tatsächlich durchgeführt“. Die „Online-Durchsuchung“ (also das Hacken zum Ausleiten sämtlicher Daten) wurde in 20 Verfahren 33 Mal angeordnet und 12 Mal „tatsächlich durchgeführt“.

Hier die Staatstrojaner-Einsätze aus den PDFs befreit, aufgeschlüsselt nach Bundesland:

Staatstrojaner Quellen-TKÜ Online-Durchsuchung
Maßnahme angeordnet durchgeführt angeordnet
(erst)
angeordnet
(verlängert)
durchgeführt
Baden-Württemberg 0 0 0 0 0
Bayern 3 3 7 0 6
Berlin 0 0 0 0 0
Brandenburg 9 4 0 0 0
Bremen 94 11 ? ? ?
Hamburg 0 0 1 3 1
Hessen 64 52 0 0 0
Mecklenburg-Vorpommern 118 95 2 0 1
Niedersachsen 129 89 0 0 0
Nordrhein-Westfalen 53 14 9 6 2
Rheinland-Pfalz 3 0 0 1 1
Saarland 12 24 1 1 0
Sachsen 89 76 1 0 1
Sachsen-Anhalt 0 0 0 0 0
Schleswig-Holstein 0 0 0 0 0
Thüringen 0 0 0 0 0
Generalbundesanwalt 4 0 0 0 0
Summe 578 368 21 11 12

Die Anzahl der Verfahren mit Telekommunikationsüberwachung hat insgesamt zugenommen, von 5.104 auf 5.252. Eine „klassische“ TKÜ führen die Ermittler seltener durch, von 19.474 auf 18.225. Bisher hat die Statistik die „Art der zu überwachenden Kommunikation“ einzeln aufgeschlüsselt: Festnetz, Mobilfunk, Internet. Jetzt ist diese Aufschlüsselung nicht mehr enthalten.

Drogen statt Terror und Missbrauch

Der Anlass zur Überwachung sind weiterhin „vor allem Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz“, also Drogendelikte. Jahr für Jahr werden mit Abstand die meisten Telefone wegen Drogen abgehört, und jetzt auch gehackt. Wir haben die Straftaten aus dem PDF befreit und aufbereitet:

Anzahl Prozent Straftat
8.624 39,7 % Betäubungsmittel
3.372 15,5 % Betrug
1.833 8,4 % Bandendiebstahl
1.524 7,0 % Mord und Totschlag
1.338 6,2 % öffentliche Ordnung
939 4,3 % Raub, Erpressung
531 2,4 % Friedens-, Hoch-, Landesverrat
434 2,0 % Geldwäsche
339 1,6 % Steuerhehlerei
2.840 13,1 % Sonstige

Alltagskriminalität ist alltäglich

Als die Große Koalition das neue Trojaner-Gesetz beschloss, schrieben wir: Damit werden Staatstrojaner massenhaft gegen Alltagskriminalität eingesetzt. Auch das BKA gab zu, dass es Staatstrojaner vor allem gegen Drogen einsetzen will. Jetzt haben wir offiziell bestätigt, das genau das passiert.

Update (23.12.): Das Bundesamt für Justiz hat einen Fehler in der Pressemitteilung korrigiert: „Aufgrund einer Nachmeldung waren die Daten zur Quellen-TKÜ zwar in der auf unserer Homepage veröffentlichten Tabelle aktualisiert worden, nicht jedoch in der Pressemitteilung. Ich bitte das Versehen zu entschuldigen. Die entsprechenden Daten in Ihrem Artikel auf netzpolitik.org sind somit korrekt.“

Update (08.01.): Laut WDR und NDR sind die Zahlen falsch. Das Bundesamt für Justiz teilt mit:

Zur jährlichen Erstellung der TKÜ-Statistik erhalten die Landesjustizverwaltungen vom Bundesamt für Justiz (BfJ) Erhebungsbögen zur Verfügung gestellt, die sie mit dem konsolidierten Landesergebnis ausgefüllt zurücksenden. Das BfJ erstellt hieraus die Gesamtübersicht. Diese wird den Landesjustizverwaltungen zur Überprüfung ihrer darin enthaltenen Zahlen übersandt und erst nach Abschluss dieser Prüfung veröffentlicht. Dies ist auch für 2019 so erfolgt.

Die in der TKÜ-Statistik zur Quellen-TKÜ veröffentlichten Zahlen werden auf Veranlassung des BfJ derzeit erneut durch die Landesjustizverwaltungen überprüft. Bei einem sich hieraus ergebenden Korrekturbedarf wird das BfJ die Übersicht entsprechend anpassen und auf die Korrekturen mit einer Pressemitteilung hinweisen.

Wenn das Bundesjustizamt die offiziellen Zahlen ändert, korrigieren wir unsere Berichterstattung.

Update (18.02.): Das Bundesamt für Justiz hat die Statistik korrigiert: „Danach wurden 2019 insgesamt 31 Anordnungen einer solchen Maß­nahme getroffen, von denen 3 tatsächlich durchgeführt wurden.“ Wir haben einen neuen Artikel: Polizei nutzt Staatstrojaner vor allem bei Erpressung und Drogen.

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2 Ergänzungen

  1. Gibt es beim Einsatz von Staatstrojanern denn eine Informationspflicht wenn z.B. unbeteiligte Dritte „aus Versehen“ ins Visier der Ermittler kamen? Wie schaut’s mit der Entfernung des Trojaners aus? (Oder sogar Schadenersatz, wenn durch den Trojaner Schäden bei Unschuldigen auftraten?)

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.